Musikalische Leitung
Ira Levin
Ausstattung
Florian Parbs

Lucia di Lammermoor

Oper in drei Akten
Musik von Gaetano Donizetti
Theater Bremen, 1989

 

FREITAG, 28.4.1989 taz                                                                                                     KULTUR BREMEN27

Fabrik der Erkenntnis — eine Oper

Am 1. Mai wird Donizettis „Lucia di Lammermoor“ aufgeführt / Gespräch mit Ulrich Michael Peters, Spielleiter der Bremer Oper seit 1987, der zusammen mit Ira Levin, 2. Kapellmeister und dem Bühnenbildner Florian Parbs produziert

taz: Italienische Oper steht am 1. Mai auf dem Programm des Goet­hetheaters. Donizettis „Lucia di Lammermoor“. Muß das sein, so kurz nach der Riemannoper? Kann man die noch steigern?
Peters: Wir werden sicher nicht so viel Amüsement ernten kön­nen, wie in der Riemannoper. Für mich ist wichtig, die Lucia nicht zu einem Museumsstückchen zu machen, weil Donizetti das gar nicht leiden könnte. Donizetti hat mit Herzblut geschrieben. Er war eine ganz zerrissene Persönlich­keit. All seine Konflikte schreibt er sich von der Seele. Aus seinen individuellen Katastrophen macht er Opern. Wenn man ihn sanft säuselnd abtut und hübsch Belcanto-Opern inszeniert, tut man ihm ganz entschieden Un­recht. Wir wollen hart und dra­stisch inszenieren. Blut ist Blut und Show ist Show: Donizetti wollte es so.

Maria Callas ist tot, warum die Lucia aufführen?
Peters: Man darf Oper nicht grundsätzlich als Schauspiel mit Musik auffassen. Sie kann viel mehr erzählen, als das Schau­spiel. Musik erzählt andere Dinge als das Wort, sie will Emotionen. Wo das Schauspiel endet, fangt die romantische Oper an: beim Mythos. Lucia di Lammermoor handelt von der Antinomie von Liebe und Macht. Beide psycho­logischen Triebkräfte sind gleich­zeitig die extremsten Triebkräfte der Musik: das Piano und das Forte, das zarte Flöten und Gei­gen und das harte Tutti, Blech mit Schlagzeug, brutal, gewaltsam. Da explodieren die Emotionen.

Italienische Oper scheint mir für das 19. Jahrhundert das zu sein, was für uns Hollywood ist. Stets die gleiche Machart, stets der Umgang mit trivialen Mythen.
Peters: Wir haben bei der Kon­zeption der Inszenierung den Be­griff des Trivialmythos benutzt. Wir haben überlegt, was war das damals für ein Stoff. Lucia ist im Grunde das, was uns heute die Ki­noepen und die Comics liefern. Da findet man laufend solche Sto­ries. Frau zwischen zwei Män­nern, Kampf, Liebe, Untergang. Meistens gehen diese Comics schlecht aus, aber auch da treffen sie sich mit der italienischen Ro­mantik. Für uns war das auch ein Schlüssel für die szenische Um­setzung.

Sollen wir denn eine Inszenie­rung sehen, bei der wir uns nicht nur am Schmelz des Tenores und am lyrischen Tremolo der Prima­donna delektieren dürfen?
Peters: Ich glaub einfach, daß diese Musik nicht funktionieren kann ohne eine adäquate szeni­sche Umsetzung. Schön gesun­gen wird allerdings auch. Wir wollen zeigen, was an diesem Stoff zeitlos ist, uns auch heute noch angeht. Man kann die Lucia spielen im italienischen Renais­sancepalast, oder in der schmuck­losen Halle einer schottischen Burg.

Zeitlos, Gefühle, das klingt nach süßer Suppe, die wir löffeln sollen.
Peters: Um Gottes Willen. Das wollen wir nicht und Donizetti schon gar nicht. Kurz, prägnant, hart, das ist der Stil von Donizetti. Am Anfang gibt es da ein Schloß, das eine Besatzungsmacht okkupiert hat, da kann man an alle Besatzungsmächte der Welt denken. Donizetti war nicht direkt politisch. Aber die Romantik in Italien wie auch in Deutschland war eminent politisch. Wenn Sie die Musik am Montag hören werden, werden Sie merken, daß sie nichts Süßliches hat, ebensowenig wie seine Stoffe. Er bevölkert seine Opern mit allem, was an Outcasts denkbar ist, mit allem was an Extremen denkbar ist: vom Inzest bis zum Wahnsinn. Heute finden wir das in Filmen wie „Highlander“ oder „Blade Runner“. Science Fiction nicht im Nirgendwo sondern in einer realen Welt, das würde Donizetti mögen. Mit unserer Lucia-Produktion wollen wir zeigen, daß Donizetti ein Ideendrama konzipiert hat. Er will zeigen, wie die Mächtigen und Technokraten die mögliche Welt des Eros, des Weiblichen zerstören und uns der Herrschaft des Logos überantworten. Damit jagen sie die Welt in die Luft. Durch alle Donizettiopern zieht sich diese Technik des provokanten Menetekels. Sie soll erschrecken machen.

Oper nicht als 'Kraftwerk der Gefühle', sondern als 'Fabrik für Erkenntnis’?
Peters: Das ist sicher Donizettis Idee.                                                              Fragen: Mario Nitsche.