Aktuell 

Ulrich Peters blickt auf zehn gute Jahre als Generalintendant des Theaters Münster zurück

„Es ist gelungen, viele mitzureißen“

Von Harald Suerland

MÜNSTERDr. Ulrich Peters ist nicht mehr Generalintendant in Münster: ein Zustand, den man aufgrund der Pandemie-Situation und der fortdauernden letzten Spielzeit seiner Planung noch gar nicht richtig wahrnimmt. Und doch ist es Zeit für eine erste Bilanz.

Guten Tag Herr Peters, ich muss Sie ja jetzt als unseren Ex-Intendanten ansprechen. Wie klingt das für Sie?
Ulrich Peters: Ist schon sonderbar – zehn Jahre sind eine lange Zeit, und in Karlsruhe passiert es mir dauernd, dass ich von „bei uns“ spreche und damit das Theater Münster meine. Da muss ich aufpassen, kommt nicht immer gut an … Aber ich bin dem Theater und der Stadt einfach nach wie vor sehr verbunden, denn es waren gute, sehr gute Jahre, auch wenn die neue Aufgabe in Karlsruhe und der Umzug in den Süden den Ablöseprozess erleichtert haben.

Die spektakuläre Abschiedssaison, auf die Sie noch im ersten Corona-Jahr hoffen durften, blieb Ihnen versagt. Vermutlich die größte Enttäuschung Ihrer Amtszeit?
Peters: Oh ja, das war und ist extrem bitter. Wir hatten uns, nachdem ich beschlossen hatte, dass nach zehn Jahren Schluss sein muss, so viel für die letzten beiden Jahre vorgenommen. Das meiste ist zerplatzt wie eine Seifenblase. Aber wie sagte schon Brecht: „Mensch, mach nur einen Plan …“. Ich hoffe nur, dass diese letzte Spielzeit einigermaßen unbeschadet über die Bühne gehen kann – die größte Katastrophe wäre, wenn unsere Opern-Uraufführung „Galen“ im Sommer platzen würde. Dieses Werk sollte der Schlussstein des Zehn- Jahres-Puzzle sein.

Mit der Politik in Münster haben Sie bisweilen gehadert, oder? Ich erinnere mich auch an Ihren Unmut darüber, dass das Theater in der Verwaltung nur „ein Amt“ ist. Tickt Münster da anders als andere Städte?
Peters: Ich habe eigentlich nicht mit der Politik gehadert, im Gegenteil. Die Politik hat uns zumeist unterstützt und der Management-Kontrakt, der uns die ganzen zehn Jahre Planungssicherheit gegeben hat, war ein großes Geschenk, um das mich viele Kollegen in anderen Städten beneidet haben.
Ich hatte aber tatsächlich Probleme mit der Verwaltung, insbesondere der Bauverwaltung. Es hat doch tatsächlich sieben Jahre gedauert, bis ich endlich meine Probebühne im Jovel hatte, und ich war nur von Verhinderern umgeben. Keiner hat gesagt, komm das machen wir jetzt einfach, weil das Theater dringend eine Probebühne braucht. Und Anfragen beim Immobilienmanagement wurden nicht einmal beantwortet – wie viele meiner Anfragen an die Verwaltung bis heute unbeantwortet blieben. Da half weder die Unterstützung der Politik noch der Kulturdezernentin.

Ein anderes Thema ist Münsters Publikum. Sie haben manchmal über dessen Entscheidungen für oder gegen bestimmte Produktionen gestaunt, sich aber grundsätzlich über dessen Treue und Zustimmung gefreut. Können Sie sich abschließend einen Reim darauf machen?
Peters: Ich glaube, der Westfale an sich und als solcher ist einfach vorsichtig und vor allem im Musiktheater sehr wertkonservativ. An sich eine gute Charaktereigenschaft, aber letztlich glaube ich, die Darstellende Kunst hat hier einen nicht ganz so hohen Stellenwert wie zum Beispiel in München. In Münster sind die Vernissagen voll, und man gibt vielleicht eher für Kunst Geld aus als für Theater. Und natürlich für gutes Essen … Theater kann man nicht mit nach Hause nehmen, und gelegentlich war der Unterhaltungswert von Theater wichtiger als der geistige. Dennoch: Durchschnittlich 200 000 Zuschauer pro Spielzeit sind eine stolze Zahl, und eigentlich lasse ich nichts auf mein Publikum im Theater Münster kommen … Es war ein tolles Publikum, dem ich für das Vertrauen nur danken kann.

Ihre grundsätzliche Strategie war es, sich selbst dem Musiktheater zu widmen und dort große Besucherzahlen zu erzielen, in den anderen Sparten aber den Leitern möglichst große Freiheit zu lassen und etwa das Schauspiel mit der ganz eigenen Handschrift Frank Behnkes ins Gespräch zu bringen. Stimmen Sie dieser Beschreibung zu?
Peters: Ja, absolut. Ich hatte aber auch ein extrem glückliches Händchen bei der Wahl meiner Spartenleiter, ob das nun Frank Behnke, Hans-Henning Paar im Tanz oder Julia Hesse beim Kinder- Und Jugendtheater waren. Wie ich überhaupt sagen kann, dass wir ein tolles Team waren, ergänzt durch Dramaturgen wie Ronny Scholz oder Kathrin Mädler. Ich hatte das Glück, mich mit meinen beiden GMDs, Fabrizio Ventura und besonders Golo Berg, gut zu verstehen, ich hatte eine wunderbare Betriebsdirektorin und eine Verwaltung mit Rita Feldmann an der Spitze, die uns immer unterstützt hat. So ist es uns wohl gelungen, ganz viele im Theater mitzureißen – und viele, von Werkstätten über Bühne, Kostüm, Maske, Ton, Requisite oder, oder fehlen mir schon jetzt sehr.

Sie sind, wie nicht alle, aber viele Theaterchefs, einerseits Manager und Organisator, andererseits als Regisseur Künstler. Was ist bei Ihnen stärker?
Peters: Ich fürchte, mittlerweile zwangsläufig der Manager. Ich inszeniere natürlich immer noch gerne und werde das auch weiter tun, es ist aber auch großartig, eine Art Pontifex Minimus zu sein, der Brücken bauen kann zwischen Künstlern, zwischen Kunst, Technik und Verwaltung oder – am schönsten – zwischen der Kunst und dem Zuschauer. Da kam es in den Jahren zu unglaublich beglückenden Momenten – die ich aber nur ganz alleine fühlen konnte. Wenn etwas so richtig gelungen ist und man stolz auf das ist, was im Team entstand. Oder man einfach aus einer streitenden Gruppe wieder ein Team formen konnte, in dem jeder wieder jedem vertraut hat. Schön!

Das Theater in Karlsruhe hat Sie als eine Art „Feuerwehrmann“ geholt. Wie läuft es denn dort bislang?
Peters: Nach vier Monaten bin ich hier wirklich angekommen. Ich hatte ja keine Vorbereitungszeit und kein Team, deshalb brauchte es eine gewisse Eingewöhnungszeit. Erfreut bin ich darüber, wie viele Mitarbeiter der Ministerien und der Stadt hier regelmäßig ins Theater kommen. Wenn ich da mal jemanden bei der offiziellen Begrüßung vergesse, gibt es lange Gesichter.

Eigentlich wollten Sie ja von Münster aus privat nach Stuttgart wechseln. Was wird aus diesem Plan?
Peters: Das ist ja auch geschehen. Wir sind im Juli umgezogen, mein Hauptwohnsitz ist Stuttgart, was für mich auch dann praktisch ist, wenn mit den Ministerien etwas zu regeln ist. In Karlsruhe habe ich eine kleine Dienstwohnung, und mit dem Zug brauche ich nur eine Stunde zwischen den beiden Städten.

In Münster sind Sie durch die von Ihnen geplante, allerdings Corona-beeinträchtigte Spielzeit gewissermaßen geistig weiterhin präsent. Persönlich auch?
Peters: Ja, denn die Spielzeit ist sozusagen noch auf meinen Mist gewachsen, deshalb komme ich zu den großen Premieren und kann auch statt meiner Spartenleiter die Premieren-Rede halten. Ich stehe auch in einem regelmäßigen Austausch mit einer Nachfolgerin Katharina Kost-Tolmein.

Und Sie können nun gewissermaßen von außen auf die Debatten um den Musik-Campus schauen. Hätte der eigentlich für das Theater irgendwelche Nachteile?
Peters: Nein, überhaupt nicht. Ich halte das nach wie vor für eine sehr gute Idee und sehe bislang auch keinen besseren Standort als die Hittorfstraße. Meine Sorge ist, dass die ganzen Pläne wieder zerredet werden und Münster am Ende wieder ohne Konzertsaal dasteht. Es wird auch so viel ohne gesicherte Zahlen und Fakten diskutiert: Die muss die Verwaltung der Politik liefern.

Wir haben am Anfang von einer Enttäuschung gesprochen, auch das abgesagte Neujahrskonzert war eine – aber wir müssen unbedingt noch von den Höhepunkten ihrer Intendanz sprechen ...
Peters: Ja, es war so schade, dass ich mich nicht vom Publikum verabschieden konnte. Die Frage nach den Höhepunkten habe ich befürchtet: Es ist immer so schade, bestimmte Produktionen zu nennen und andere wegzulassen. „Homo sacer/Sacre“ im Tanztheater war ganz sicher einer, im Schauspiel auf jeden Fall „Platonow“ oder Schillers „Fiesco zu Genua“. Sehr gern denke ich an das Musical „Edwin Drood“ zurück. Und am stolzesten bei meinen eigenen Produktionen bin ich auf „Don Carlo“, die Erweiterung der Verdi-Oper mit dem Requiem Alfred Schnittkes. Auf diese Idee hatten mich Generalmusikdirektor Golo Berg und Dramaturg Ronny Scholz gebracht. Auch wegen solcher Zusammenarbeiten kann ichsagen: Es waren wirklich zehn gute Jahre in Münster.

 

 

HÄNDEL UND HEAVY METAL

Arndt führt ein Theatergespräch mit Dr. Ulrich Peters

Ein milder Augustmorgen in Münster. Die große Flut liegt noch nicht lange zurück. Auch das Stadttheater wurde mächtig nass – drinnen im Orchestergraben ackern die Heiztrockner, und angeblich ist es heiß wie in der Sauna. Dr. Ulrich Peters hingegen wirkt an seinem Schreibtisch im Obergeschoss ganz cool. Und das, obwohl der Intendant mit vielen Bällen jonglieren muss: Die Reparaturen im Blick behalten, mit immer weniger Geld haushalten, die Mitarbeiter bei Laune und den eigenen Kreativmotor am Laufen halten. Denn natürlich inszeniert Peters auch selbst, in der nächsten Spielzeit zum Beispiel das berühmte Musical „Anything goes“. Überhaupt ist für den Regisseur Peters das Musiktheater die größte Leidenschaft. Da kommt auf die hiesigen Theaterbesucher noch so manch Überraschendes zu! Denn der Musikgeschmack des Intendanten sprengt mühelos bildungsbürgerliche Grenzen – und reicht von barocker Zartheit bis zur Klangkeule aus Schwermetall.

Sie sagten beim letzten Stadtgeflüster-Interview vor zwei Jahren, Sie seien mit fliegenden Fahnen nach Münster gekommen. Hängen die mittlerweile ein wenig auf Halbmast?
Nein, ganz und gar nicht. Ich mag die Stadt sehr gern, auch wegen ihrer Größe. Man bekommt relativ leicht Kontakt. München, wo ich zuvor war, ist eben eine Millionenstadt – allerdings komme ich soeben aus China, da weiß man erst wirklich, was Metropole bedeutet!

Packt Sie oft das Fernweh?
Ja – ich mache sowas alle zwei Jahre. Davor war ich in Indien, als nächstes steht Vietnam an. Diese Reiseziele sind allerdings schwierig, weil ich immer nur in den Sommerferien weg kann. Und in China regnet’s jetzt. Und in Kuba – wo ich auch unbedingt mal hin möchte – sind jetzt die großen Hurricanes. Da müsste man eher im November hin, aber da kann ich nicht weg! In Hongkong habe ich mich auch mit dem Intendanten des Opernhauses getroffen – ich versuche stets, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.

Solche Kontakte sind sicher sehr wichtig.
Klar. Im Oktober werde ich in Korea eine Zauberflöte inszenieren. Ich mag Südostasien sehr gern. Nach meinem ersten Besuch in Tokio war das wie eine Sucht. Aber um auf Münster zurückzukommen: Wir wollten gerne in eine Stadt dieser Größe, und Münster ist durch die Studenten sehr jung. Auch wenn die nicht unbedingt die meisten unserer Zuschauer stellen.

Das ist und bleibt ein Problem …
Ja, aber die Professoren kommen auch nicht (Lacht). Es gibt natürlich immer wieder Stücke, wo die Münsteraner die Antennen aufstellen und sagen: „Sollen wir uns das ansehen?“ Insgesamt finde ich sie sehr neugierig. Und wenn sie dann kommen, sind sie sehr treue Besucher, und das ist das Schönste!

Bei welchem Stück waren die Münsteraner denn eher zurückhaltend?
Bei mehreren. Im ersten Jahr zum Beispiel beim Dea-Loher-Stück „Unschuld“ im Großen Haus. War vielleicht auch etwas sehr mutig, ein solches Stück gleich im Großen Haus zu machen. Und im letzten Jahr „Benvenuto Cellini“ von Berlioz, was ich gar nicht verstanden habe. Natürlich kennt man diese Oper nicht, aber den Komponisten sehr wohl. Dennoch waren sowohl Opern- als auch Berlioz-Fans sehr zögerlich. Ebenso bei Grillparzers „Das goldene Vlies“ – dafür kamen sie aber mit Begeisterung in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Ich hätte nie gedacht, dass sie zu Fassbinder gehen!

Schneidern Sie eigentlich Ihre Konzerte und Programme auf die jeweilige Stadt zu? Nach dem Motto: „Das geht in München, aber nicht in Münster“?
Ja, ganz stark. Ein schönes Beispiel ist die Operette „The Pirates of Penzance“ von Gilbert und Sullivan aus der vergangenen Spielzeit, die seinerzeit in München am Gärtnerplatz ein Riesenhit war. Über zwei Spielzeiten ausverkauft! Die Produktion in Münster war vielleicht sogar noch besser besetzt, hatte aber nur eine Platzausnutzung von ca. 70 Prozent. Die Münsteraner zeigten sich schmunzelnd amüsiert, wo die Münchner jubelnd auf den Stühlen standen. Dabei habe ich gelernt, dass man mit Erfolgsstücken nicht in jeder Stadt gleichermaßen ankommt.

Da wurden die Westfalen wieder mal ihrem Klischee gerecht, schwer entflammbar zu sein.
Aber wenn sie dann mal von den Plätzen aufspringen, dann richtig. Übrigens ist man in München auch mit den Buhrufen viel schneller granatenmäßig dabei. Ich selber bringe ja auch diese südländische barocke Leidenschaft mit und versuche, die Menschen ein wenig damit anzustecken. (Lacht)

Ich habe gelesen, dass das Theater bei Münsters großer Flut glimpflich davongekommen ist. Die Technik im Orchestergraben funktioniert auch noch?
Gott sei Dank, ja. Unten stehen überall Heiztrockner, es ist wie in der Sauna, Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent – doch es trocknet alles gut aus. Wir haben jetzt auch richtig tolle neue Lautsprecher bekommen. Die Kabel laufen jedoch unter dem Orchestergraben hindurch, zum Glück brauchen wir das Ganze aber erst beim Musical so richtig.

Wir können natürlich auch dem leidigen Thema Sparen nicht ausweichen. Als Sie vor zwei Jahren anfingen, drohte sogleich die Spartenschließung – da waren Sie zurecht sauer. Wie sieht das aktuell aus?
Wir knapsen natürlich immer noch an diesen Kürzungen, 700.000 € steckt man nicht mal eben weg. Wenn Sie das durch 45.000 teilen, wissen Sie, wie viele Planstellen das sind. Das entspricht bei mir einer gutdotierten Stelle. Ich will aber gar keine abbauen, selbst wenn das einfach so ginge. Also muss man fragen: Wo kann man einsparen und wo lassen sich neue Einnahmen generieren? Aber es kommt rasch der Punkt, wo die Münsteraner sagen: „Das wird mir zu teuer, da gehe ich eben nur noch einmal im Quartal ins Theater, statt einmal im Monat.“ Wir haben jetzt eine neue Finanzformel, die gut funktioniert. Einschließlich der Garantie, dass die Stadt für die nächsten vier Jahre die Tariferhöhungen übernimmt. Das sind auch nochmal locker 180.000 bis 200.000 Euro allein dadurch.

700.000 ist also die Einsparsumme, mit der Sie klarkommen müssen.
Genau. Das ist viel Geld, doch ich glaube, noch haben die Zuschauer nicht das Gefühl, dass hier Theater auf Sparflamme geboten wird. Gewisse Dinge gehen aber einfach nicht mehr: Zum Beispiel ein Lohengrin, überhaupt Wagner – das können wir mit unseren Hausmitteln nicht stemmen, dafür bräuchten wir Zusatzchöre. Außerdem sind bei Wagner die Sänger teurer. Allerdings funktionieren Verdi, Puccini und Strauss immer noch sehr gut.

Zwischen Ihnen und der freien Theaterszene hatte es seinerzeit ja auch geknirscht. Als die Stadt beschloss, die Tariferhöhungen zu übernehmen, riefen die: Das geht dann alles bei uns weg!
Ich kann ja nichts dafür, wie die Stadt ihre Finanzen regelt. Mich hat es sehr irritiert, dass es zwischen der freien Szene und dem städtischen Theater so einen Futterneid gibt. Das habe ich in anderen Städten so nicht erlebt. Außerdem kooperieren wir mit den Freien sehr wohl, beispielsweise mit dem Theater „Fetter Fisch“ oder mit dem „Jungen Theater Cactus“. Mit Meinhard Zanger vom Borchert-Theater klappt die Kooperation wunderbar, auch mit Ludger Schnieder vom Pumpenhaus bin ich permanent im Gespräch.

Finden Sie die freie Szene in Münster denn insgesamt gut?
Ich finde sie spannend, habe bei den Freien aber leider auch sehr viel „Selbstgehäkeltes“ gesehen – allerdings ist auch bei uns nicht immer alles Gold. Es ist die Frage des Niveaus, auf dem man scheitert …

Vermutlich ist das ein normaler psychologischer Reflex: Wenn irgendwer Fördergelder kriegt, rufen alle anderen: „Ich bitte auch!“ Bei der Musikhallen-Diskussion war es damals ähnlich, da befürchtete die freie Kulturszene ebenfalls Einbußen. Aber das war ja vor Ihrer Zeit …
Dass eine Stadt von der Größe Münsters keinen akzeptablen Konzertsaal hat, finde ich schon bedauerlich. Sogar ein bisschen erschreckend. Dass in München bereits über den dritten Konzertsaal diskutiert wird – geschenkt. Aber nehmen wir doch mal Augsburg: Dort ist die Kongresshalle von Anfang an so konzipiert worden, dass sie auch exzellent als Konzertsaal taugt. Mit großer Orgel und toller Akustik. Als ich damals hierher ging, sprachen mich Leute an: „Münster? Das ist doch die Stadt, die keinen Konzertsaal haben will! Du gehst in eine Stadt, die eine Musikhalle per Volksentscheid verhindert!?“ Da musste ich schon ein bisschen schlucken. Trotz allem: Es ist doch eine kulturell interessierte Stadt. (Lacht)

Kommen wir doch mal zu Ihrer Regiearbeit. Sie machen fast ausschließlich Oper, oder?
Ich habe durchaus auch Schauspiel gemacht, wenn auch nur wenig. Bei dem Musical „Anything goes“ in der kommenden Spielzeit werde ich auch wieder mit Schauspielern arbeiten. Und darauf freue ich mich sehr. Meine Schauspieler hatten mich schon scherzhaft gefragt, ob ich sie nicht mögen würde, weil ich nie mit ihnen arbeite.

Ihr Kollege Meinhard Zanger vom Borchert-Theater sagte im Interview: „Regisseur ist ein Beruf, Intendant ist ein Amt.“ Braucht man also eine Künstler- und eine Beamtenseele?
Ein bisschen schon – man hat doch mit viel Verwaltungskram, Geld und Organisation zu tun. Muss auch Brücken zwischen Menschen bauen, zum Beispiel zwischen Regisseuren und Sängern. Man muss einfach zusehen, dass im Haus eine gute Arbeitsatmosphäre herrscht. Ich nenne das „Corporate Behavior“ – in diesem Haus brüllt nur einer: Das ist der Intendant, und der tut‘s nicht!

Die Pointe sitzt!
Es geht um gegenseitigen Respekt. Ohne Beleuchter könnte der Künstler auf der Bühne auch nix machen und säße im Dunkeln. Und ohne den Künstler hätte der Beleuchter wiederum nix zu tun und könnte heimgehen. Nebenbei: Als ich angefangen habe, war die Frage des Geldes und der Platzausnutzung noch nicht so entscheidend. Alles musste „künstlerisch“ sein, am besten mit einem riesigen Skandal.

In den Siebzigern?
Ja – ich habe 1972 meine erste Inszenierung gemacht. Solche Begriffe wie „Auslastungszahlen“ gab‘s damals gar nicht.

Da ging es vor allem um Gesellschaftskritik …
Genau. Heute dagegen lasse ich mir fast täglich die Zahlen vorlegen! Man überlegt sich: „Ah, bald ist wieder ein „Brückentag“ – wen könnte man da ins Theater locken?“ Es fahren schließlich nicht alle weg. Das Selbstverständnis des Theaters hat sich sicherlich verschoben in den letzten 30 Jahren, auch in den Schulen werden die musischen Fächer immer weniger. Zum Glück klappt das in Münster immer noch hervorragend, die Zusammenarbeit mit den Schulen ist toll. Sogar Kindergärten fordern uns immer wieder an. Man muss in dieser Hinsicht ganz früh anfangen. Im Picassomuseum beispielsweise haben wir etwas für Zweijährige gemacht. Das war zwar nicht direkt ein Theaterstück, doch wir haben auf theatrale Weise gezeigt, was man mit Farben machen kann. Nett!

Muss bei Ihnen ein Gastregisseur, der Oper macht, auch spezielle Opernerfahrung nachweisen?
Er muss mit dem Apparat umgehen können – vor allem mit den Chören. Das ist eine hohe Kunst und ich habe schon oft erlebt, dass Schauspielregisseure das nicht können. Die sagen zu den Chorsängern: „Ihr steht dort hinten in der Ecke und rührt euch nicht.“

Mit scheint es, dass solche Fähigkeiten immer seltener verlangt werden. In Bayreuth zum Beispiel setzt man fast nur noch auf Schauspielregisseure, Stichwort Castorf. Da fragt man sich: Wie viel Ahnung hat der Mann eigentlich von Oper?
Man muss aber auch sagen, dass der „Ring“ in dieser Beziehung nicht zu schwierig ist. Da gibt‘s eigentlich nur in der Götterdämmerung einen großen Chor. Ich habe von München aus viele Ring-Inszenierungen in Bayreuth gesehen, und der Castorf-Ring hätte mich schon seeehr interessiert. Obwohl ich kein Riesenfan von ihm bin – nicht mehr. Er wiederholt sich nun zu oft.

Das Klischeewort für einen seines Schlages ist „Stückezertrümmerer“. Hätte so einer bei Ihnen die Chance, verpflichtet zu werden?
Ja – wenn er intelligent mit einem Stück umgeht, einen Aspekt stringent herausstreicht, wo man sagt: „Wow!“ Das heißt für mich hervorragendes Regietheater. Aber zertrümmern, nur weil man mit dem Stück nichts anfangen kann? In solchen Fällen habe ich immer meinem Intendanten abgesagt, das wollte ich nicht inszenieren. Wir machen das ja alles auch für die Zuschauer. Da gibt es welche, die haben schon fünf verschiedene Inszenierungen eines Stückes gesehen, und sagen: Die sechste muss aber nun ganz anders sein! Wir haben aber auch Zuschauer, die noch niemals „La Traviata“ gesehen haben. Auf die muss man ebenfalls Rücksicht nehmen und darf sich nicht zu weit vom ursprünglichen Material entfernen. Ich finde es dann viel spannender, die Figuren psychologisch genau zu erzählen. Jeder Autor oder Komponist trägt einen gewissen Schmerz in sich, der ihn genau zu diesem Stoff getrieben hat. Und diesen Schmerz muss man als Regisseur erkennen und den Finger darauf legen: „Warum hat Verdi eigentlich diese Traviata geschrieben?“ Dann hat man als Theatermacher schon viel geschafft.

Ich persönlich wünsche mir in der Oper Bilder, die sich nicht mit der Musik behakeln. Dass sich nicht ständig Ohr und Auge streiten! Ich habe letztes Jahr in Dresden einen bildgewaltigen „Fliegenden Holländer“ gesehen. Zum Glück ohne Imbissbude mit Cola-Reklame oder sowas.
Finde ich auch. Und gerade der „Holländer“ ist ja schon halbe Filmmusik. Der muss genau die Atmosphäre auf der Bühne haben, die Wagner im Orchestergraben vorgibt.

Das bringt uns zur aktuellen münsterschen „Zauberflöte“. Der Regisseur arbeitet mit popkulturellen Bezügen zu einflussreichen Filmen wie „Star Wars“.
Die Geschichte ist ja auch im Grunde genommen wie Star Wars! Ich denke immer auch an „latente“ Opernzuschauer, bei denen man erst noch Schwellenängste abbauen muss. Das haben wir in München mit großem Erfolg gemacht.

Sie meinen vermutlich „Ihre“ Münchner Heavy-Metal-Oper. Droht uns das in Münster auch?
(Lacht.) Das könnte durchaus kommen, ich stehe momentan in Verhandlungen und könnte mir vorstellen, dass es hier in Münster sogar besser klappt als in München. Ich mag diese Musik privat auch.

Mal so von einem Musikwissenschaftler zum andern: Wie kommt’s?
Ich glaube, es hat damit zu tun, dass Klassik für mich seit vielen Jahren mit Arbeit verbunden ist. Sogar wenn ich eine Brahms-Sinfonie höre, meldet sich sofort der Regisseur in mir und fragt sich zum Beispiel: „Wie könnte man das bebildern?“ Deswegen kann ich Musik fast gar nicht mehr entspannt genießen. Und kaum noch unverkrampft ins Theater gehen! Da beneide ich einen Freund von mir: Wenn der in einer Oper sitzt, weint er wie ein Schlosshund, weil er so ergriffen ist. Mich ergreift es fast nur noch im Kopf und ich nicht mehr im Bauch. Aber der Heavy Metal schafft das noch! Den kann ich total laut im Auto hören, und es hat beinahe etwas Reinigendes. Danach sind alle Aggressionen weg. Bizarr, aber es ist so. (Lacht)

Aggressiven Dampf habe ich früher aber auch mit Klassik abgelassen – mit Schostakowitsch oder Strawinsky oder ähnlichen Krachern.
Ja klar, über solche Komponisten bin ich überhaupt erst zur klassischen Musik gekommen. Denn zuhause stellten sich meine Eltern früher stets nur die eine Frage: „Sonntags Bach oder lieber Händel?“ Ich war immer mehr auf der Händel-Seite, weil ich dieses Sinnliche bei seinen herrlichen Arien mochte.

Mein erster Lieblingskomponist! Händel forever.
Ja – der geht auf jedem Fall mit auf die einsame Insel. Was ich immer auf dem MP3-Player habe: Händel und Heavy Metal.