OCCUPY THE SKY

von Michael Böhm

In Münster kämpft der neue Intendant Ulrich Peters mit den Sparplänen der Stadt und für die Rückkehr des politischen Theaters

Ulrich Peters bleibt; und er bleibt freundlich, vorerst zumindest. Trotz des merkwürdigen Willkommensgrußes, den die Stadt Münster ihrem neuen Generalintendanten entbot: ein „Streichkonzert“, dessen Klänge nur unfreundlich stimmen können. Zehn Prozent des Etats der städtischen Bühnen, so forderte die Münsteraner Dezernentenrunde im September, sollen bis 2020 eingespart werden, das sind ca. 1,9 Millionen Euro jährlich. „So eine absurde Situation habe ich noch nie erlebt“, sagt Peters. „Wir sollten hier erst einmal anfangen, gutes Theater zu machen, bevor uns so etwas vor die Füße geworfen wird.“
Kurz nach Peters’ Amtsantritt zur neuen Spielzeit sickerten die Pläne des Stadtrates durch, gerieten zum Thema bei Einwohnern und Presse, irritierten, verunsicherten, verärgerten. Allein durch die Schließung der Sparten Schauspiel und Tanz, so hieß es, könne man das Sparprogramm realisieren. Peters, der nach Stationen am Stadttheater Augsburg und dem Münchener Gärtnerplatztheater nunmehr seine dritte Intendanz beginnt, fühlte sich düpiert. Denn er kam nach Münster, um engagiertes Theater zu machen, eines, das stört, das aneckt, das (wieder) politisch ist. „Ich liebe das Schauspiel“, sagt er, der eigentlich in der Oper zu Hause ist, „es hat ein faszinierendes Quantum an Widerspenstigkeit.“
Peters verweist darauf, was unter anderem schon auf dem Spielplan steht: das Projekt „Münster – Stadt der Sehenden“ etwa, das ein Kommentar zur kommenden Bundestagswahl sein soll, frei nach José Saramagos Roman, in dem die Einwohner einer Stadt, der herrschenden Politik überdrüssig, bei der Kommunalwahl mehrheitlich weiße Zettel abgeben, um sich der Stimme zu enthalten. Oder „Afghanistan“, das Erfolgstück von DC Moore – gezeigt in der neuen Studiobühne U2 – worin der junge englische Autor über religiösen Eifer sinniert, der heutige Kriege entfacht und terroristisch entgrenzt, erzählt in einer unverblümt harten Sprache und verdichtet in zuweilen schockierenden Szenen von poetischer Kraft. Ein Stück, das geradezu nach Münster gehört, wo einst der Westfalische Frieden ähnlichen Glaubenskriegen ein Ende setzte. Das spricht für ein anderes Profil als jenes, das Peters’ Vorgänger Wolfgang Quetes dem Schauspiel verlieh. Der schwärmte von Münsters „Bildungsbürgertum im guten Sinne“, das für das Theater so wichtig sei, und bot viel Traditionelles, Solides, aber kaum Aufregendes.
Drei Wochen lang jedoch schien es, dass ein neuer künstlerischer Aufbruch gar nicht möglich sei. Erst gegen Ende September besannen sich die Kommunalpolitiker, überlegten, wägten ab, rechneten. Denn Peters, der freundliche Neue, gab sich als streitbarer Intendant: Er verweis auf den kulturellen Schaden, den die Stadt erleiden würde, und auf längerfristige vertragliche Bindungen. Aber er zeigte sich auch kooperativ, bot an, nach Alternativen zu suchen. Nur 1,1 Millionen Euro, so ist vorerst der letzte Stand, muss das Theater nun sparen. Die Hälfte davon hofft Peters ohne Spartenschließung aufzubringen, durch höhere Eintrittspreise und „Outsourcing“ bestimmter Bereiche: „Ich will vom Kantinenessen bis zum Orchesterwart alles durchforsten.“ Bliebe noch die andere Hälfte, die dem jährlichen Etat des Tanztheaters entspricht. Der neue Intendant ist optimistisch, auch das zu erhalten: „Andernfalls wäre für mich hier kein Bleiben mehr“, sagt er freundlich, aber bestimmt.
Aus: Theater der Zeit, November 2012, Heft Nr. 11, S. 36f.

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VORFREUDE BEIM DESIGNIERTEN GENERALINTENDANTEN

ULRICH PETERS: "ICH HABE MÜNSTER BEWUSST GEWÄHLT"

Münster - Es dauerte am Mittwoch nur wenige Minuten, dann kam der gewählte und damit nun offiziell designierte Generalintendant Dr. Ulrich Peters (55) kurz nach 17 Uhr mit bunten Blumengebinden aus dem Ratssitzungssaal und stellte sich auf dem Sentenzbogen den Journalisten.
Eine Frage wurde ihm häufiger gestellt - nämlich die, ob der Wechsel von München nach Münster, vom Staatsintendanten des Staatstheaters am Gärtnerplatz zum Generalintendanten der Städtischen Bühnen Münster, nicht doch ein Wechsel in eine nachrangige Kulturliga sei. Doch der smarte Stuttgarter Peters musste nicht lange überlegen: „Ich habe mir Münster bewusst ausgesucht. Ich liebe das Schauspiel. Gerade das fehlte mir an meinem Haus in München. Das Schauspiel hat eben ein faszinierendes Quantum Widerspenstigkeit, das ein Theater braucht.“
Es wurde im Gespräch schnell deutlich, womit Peters im Bewerbungsverfahren punkten konnte. „Man muss als Theater in die Stadt hineinwirken und verschiedene Kulturinstitutionen miteinander vernetzen. Gerade das funktioniert in einer Großstadt wie München meistens nicht. Da macht jeder sein eigenes Ding“, beschreibt Peters die Besonderheiten einer Metropole wie München und einer mittelgroßen Stadt wie Münster. „Hier in einer Stadt wie Münster macht man eben Theater für alle, für Kenner und Abonnenten, für die ganz normalen Bürger, aber auch für Kritiker und Schüler.“

Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe und Kulturdezernentin Dr. Andrea Hanke gratulierten dem neuen Generalintendanten Dr. Ulrich Peters nach seiner Wahl auf dem sonnenüberfluteten Sentenzbogen.
Welcher Ruf ging Münster bei seiner in Aussicht stehenden Wahl voraus? „Alle haben mir von Herzen gratuliert und mir gesagt, das Münster eine wunderschöne Stadt sei.“ Peters weiter: „Münster geht ein ausgezeichneter Ruf voraus. Das macht mich auch ein bisschen nervös! Ich muss dieser Stadt schließlich auch gerecht werden.“
Peters ist kein Freund von Schnellschüssen. „Ich muss die Stadt jetzt erst einmal in Ruhe kennenlernen. Außerdem habe ich ja auch noch eine anstrengende Saison in München vor mir.“ Erst in einem Jahr also möchte er Konkretes zu seinem ersten Spielplan für die Saison 2012/2013 sagen. Er könne sich freilich vorstellen, zu Beginn sowohl im Schauspiel als auch in der Oper aus dem Vollen zu schöpfen. Eine Shakespeare-Komödie schwebt ihm vor - und vielleicht als Oper „Hoffmanns Erzählungen“.

Den Wechsel will Peters in Ruhe vollziehen. Das bezieht sich auch auf personelle Entscheidungen. „Ich bin ein Mensch, der das mit Augenmaß macht!“ Gerne möchte er auch mit den angestammten Kräften die Zusammenarbeit erproben.
Gerade an der Tanzsparte hat Peters großes Interesse: „Hier wird nichts zugemacht.“ Demnächst wird er sich mit seiner Frau in Münster ein Häuschen im Grünen - „am besten im Umkreis von fünf Kilometern um das Theater“ - suchen. Der neue Intendant ist ein Fahrrad-Freund. Etwas Münster steckt also schon in ihm drin ...
Mästfälische Nachrichten  Johannes Loy

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RATSENTSCHEID: DR. ULRICH PETERS IST ZUM INTENDANTEN GEWÄHLT

Dr. Ulrich Peters wird ab September 2012 neuer Generalintendant der Städtischen Bühnen Münster. Der Rat der Stadt wählte ihn heute Abend einstimmig mit wenigen Enthaltungen zum neuen Theaterchef. Von Sabine Müller
Dr. Ulrich Peters ist heute zum Intendanten der Städtischen Bühnen Münster gewählt worden. „Meine Familie und ich freuen sich sehr auf Münster“, erklärte der 55-Jährige, der das Staatstheater am Gärtnerplatz in München damit hinter sich lässt. „Nur das ,Grüß Gott‘ muss ich mir wieder abgewöhnen.“
Oberbürgermeister Markus Lewe gratulierte mit einem Blumenstrauß und rief schon mal die „Peters-Bühnen“ aus: „Wir erwarten eine gesunde Mischung aus klassischem Theater, aber auch den Mut, es richtig krachen zu lassen.“ Der Vertrag läuft über fünf Jahre. Vorgänger Wolfgang Quetes geht ab Sommer 2012 in den Ruhestand.

ERÖFFNUNG MIT SHAKESPEARE?

Peters Traum ist es, die Spielzeit 2012/2013 in Münster mit „Hoffmanns Erzählungen“ und einem Stück von Shakespeare, vielleicht „Was ihr wollt“, zu eröffnen. Den genauen Spielplan will Peters in einem Jahr vorstellen. „Jetzt muss ich die Stadt erstmal kennen lernen“, sagt er. Es sei sinnlos, ein Theaterkonzept und Erfahrungen aus einer anderen Stadt Münster einfach überzustülpen. „Ich muss die Luft der Stadt einatmen und eine Idee davon bekommen, wie man die Menschen hier begeistern kann.“
Er habe sich die Stadt bewusst ausgesucht, wollte unbedingt wieder an ein Drei-Sparten-Haus. Vor allem das Schauspiel habe dem 55-Jährigen in München gefehlt. Es sei „ein bisschen verrückter“ als das Musiktheater. Zudem könne das Schauspiel spannendere Themen besetzen.

TANZTHEATER AUFSTOCKEN?

Auch das Tanztheater hält er für wichtig. In Augsburg, wo er acht Jahre lang ein mit Münster vergleichbares Haus leitete, habe er um dessen Erhalt gekämpft. Tanztheater sei am schwierigsten zu verstehen, aber auch am faszinierendsten. „Da müsste man in Münster vielleicht sogar die Zahl der Tänzer aufstocken, um große Abende im Großen Haus zu machen.“
Peters will mit dem Theater „in die Stadt hineinwirken“. Die Kunst sei es, Theater für sehr unterschiedliche Ansprüche zu bieten: „Man muss für den Profizuschauer Theater machen, der schon fünf Toscas gesehen hat und bei der sechsten etwas Neues erwartet, zugleich aber auch für Schüler, die fragen, warum die Tür auf der Bühne links ist, wenn doch im Text rechts steht.“

GUTE KÜNSTLER KOSTEN GELD

Die knapp 19 Millionen Euro Etat hält Peters für einen „gewaltigen Beitrag einer Kommune für Kultur“. Für ihn stehe Qualität vor Quantität. „Ich engagiere lieber einen guten Tenor und mache dafür eine Vorstellung weniger. Und gute Künstler kosten eben Geld. Aber das hat Münster auch verdient.“


Intendantenwahl in Münster: Treppauf, treppab zum Chefsessel
MÜNSTER Paul Esterhazy trägt kein Schwarz. Jedenfalls nicht nur. Dabei war ihm dieser Ruf vorausgeeilt. Für die Vorstellung im Kulturausschuss hat der Intendantenbewerber ein weißes Hemd und eine graue Jacke gewählt. Tiefschwarz ist nur sein Schal.
Münstersche Zeitung  Sabine Müller und Manuel Jennen

Er habe es heute mal ganz extravagant haben wollen, witzelt der Aachener Ex-Intendant, der gerade aus seiner Heimat Wien angereist ist. Konkurrent Ulrich Peters lacht mit. Auch er trägt einen schwarzen Schal. Nicola May hat ganz klassisch zum Kostüm mit Perlenkette gegriffen.Das ist der erste Eindruck der drei Theatermacher, die am Montag nach Münster gekommen sind, um das Finale um den Chef-Posten der Städtischen Bühnen zu gewinnen. Um kurz vor Fünf treffen sie im Stadtweinhaus ein – und beginnen sofort eine wilde Wanderung.
Vor dem Kulturausschuss haben drei Fraktionen zu getrennten Gesprächen gebeten, die SPD, die FDP und die Linke. Die Grünen lehnen diese Vorgehensweise unter Protest ab. Sie sehen den Kulturausschuss herabgesetzt. Der Grüne Hery Klas erklärt das auf dem Gang nochmal: „Wir haben hier eine fachliche Entscheidung zu fällen, keine politische!“ Die CDU-Fraktion tagt in Coerde. Thema: „Sport und Integration – funktioniert das wirklich?“ Dorthin will man die Kandidaten nicht auch noch schleppen.

LAMPENFIEBER

Kulturdezernentin Dr. Andrea Hanke, Theaterdirektorin Rita Feldmann und Büroleiterin Monika Grefrath betätigen sich als „Hostessen“: Mit ihnen wandern Peters, May und Esterhazy treppauf, treppab, von Rjasan in Russland bis nach Kristiansand in Norwegen (die Sitzungszimmer tragen Namen münsterscher Partnerstädte). Ein bisschen Lampenfieber haben sie alle, da sind sich die drei Begleiterinnen sicher.
Plötzlich kommt Getöse aus dem Balkonraum. Brüllt die SPD gerade Paul Esterhazy nieder? Oder umgekehrt? Alle draußen auf dem Flur lauschen. Jetzt hört man es genauer: Hundegebell. „Und ich dachte schon, wir müssen die Kandidaten jetzt erstmal beruhigen und streicheln“, scherzt die Kulturdezernentin.
Ulrich Peters sieht nicht streichelbedürftig aus: „Ich fand es gut, dass ich nicht sofort nach einem fertigen Programm oder Konzept gefragt wurde – das hat noch keiner von uns in der Tasche.“

SCHICKERIA NERVT

Peters ist Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters, einer weltberühmten Opern- und Operettenbühne. Was will er in Münster? „Ich habe mich ganz bewusst hier beworben. Die Münchner Kulturschickeria kann man sehr schnell leid bekommen“, sagt er. Vor München habe er das Stadttheater in Augsburg geleitet, da sei er wirklich mit den Bürgern in Kontakt gekommen, „da haben mich in der Mittagspause alle in der Fußgängerzone gegrüßt“. So etwas wünsche er sich wieder.
Das Theater in Münster kenne er gut, bei einer früheren Station in Bremen sei er regelmäßig hergefahren. In Münster wolle er mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen. Dafür würde er sogar auf seine geliebten Berge verzichten. Das Berge-Problem sieht auch der Österreicher Paul Esterhazy. Der zaghafte Einwand, es gebe doch in der Nähe das Sauerland, erntet Spott: „Das sind für einen Österreicher nicht mal Hügel.“

SPAZIEREN AUF DER PROMENADE

Nicola May, Intendantin in Baden-Baden, müsste den Schwarzwald gegen die Promenade tauschen. Als sie das letzte Gespräch hinter sich hatte, ging sie erstmal spazieren: „Die Promenade hat mir wirklich gut gefallen, am liebsten wäre ich noch länger und weiter spaziert.“ Kein Wunder, dass sie sich heimisch fühlt: Sie kommt zwar ursprünglich aus Bonn, hat aber westfälische Vorfahren in Paderborn und war als Kind bei ihren westfälischen Tanten zu Besuch.
Paul Esterhazy wurde um 19.30 Uhr als Erster der drei in den Kulturausschuss gerufen. Eine Stunde pro Kandidat war veranschlagt. Um 23.20 Uhr diskutierten die Mitglieder immer noch hinter verschlossenen Türen. Sie machten es so spannend wie eine Papstwahl. Noch ist kein Rauch aufgestiegen.